In dieser Folge von „Charlottenburg in Bewegung“ spricht Oliver Springer mit Aro Kuhrt, Autor des Buches „Eine Reise durch die Kantstraße“. Das Gespräch bietet interessante Einblicke in die Vielschichtigkeit der Kantstraße, die sich als pulsierende Lebensader im Herzen Charlottenburgs offenbart.
Aro Kuhrt, ein erfahrener ehemaliger Taxifahrer mit über zwanzig Jahren Berufserfahrung, war oft in der Gegend unterwegs und verbindet daher viele persönliche Erlebnisse und Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen mit diesem Teil Charlottenburgs. Für einen geschichtsinteressierten Menschen wie ihn hat die Kantstraße aber noch einiges mehr zu bieten. Sie zeichnet sich durch eine faszinierende Vielzahl von Facetten aus, was auch damit zu tun hat, dass die Kantstraße gewissermaßen aus mehreren, sehr unterschiedlichen Teilen besteht. Entsprechend vielfältig ist die Mischung aus Menschen, Geschäften, Restaurants, Kulturangeboten und und und.
Im Verlauf des Gesprächs gibt Aro Kuhrt interessante Einblicke in seine Zeit als Taxifahrer, die von persönlichen Begegnungen geprägt war. Von Gesprächen mit einem ehemaligen CDU-Generalsekretär bis hin zu bewegenden Schicksalen von Fahrgästen reicht das Spektrum der Erlebnisse, die die Vielfalt der Kantstraße widerspiegeln.
Dabei werden besondere Orte wie der Bücherbogen am Savignyplatz, die ehemalige Synagoge Kantstraße und das Schwarze Café vorgestellt.
Das Buch „Eine Reise durch die Kantstraße“ ist das Ergebnis von Aro Kuhrts einmaliger Perspektive auf diesen Teil Berlins. Es wird deutlich, wie seine Erfahrungen als Taxifahrer die Geschichten in seinem Buch beeinflusst haben, wenngleich der Inhalt des Buches zu einem großen Teil auf weiteren Recherchen beruht.
Das Buch „Eine Reise durch die Kantstraße“ ist das Ergebnis der einzigartigen Perspektive von Aro Kuhrt auf diesen Teil Berlins. Es wird deutlich, wie seine Erfahrungen als Taxifahrer die Geschichten in seinem Buch beeinflusst haben, auch wenn der Inhalt des Buches zu einem großen Teil auf weiteren Recherchen beruht.
In der Unterhaltung kommen auch historische Aspekte zur Sprache, darunter nie realisierte Projekte wie der Südwestkanal und eine geplante Autobahn durch die westliche Innenstadt Berlins. Aro Kuhrt gibt zudem Einblicke in weniger bekannte Orte in Charlottenburg und verweist auf seine umfangreiche Website berlinstreet.de, die eine reichhaltige Informationsquelle zur Geschichte Berlins darstellt.
Das Gespräch endet mit einem Ausblick auf Aro Kuhrts aktuelle Projekte, darunter ein Buch über den Stadtteil Wedding und das fortlaufende Projekt berlinchronik.de, das historische Ereignisse für jeden Tag festhält.
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Transkript zur Episode
Oliver Springer: Charlottenburg in Bewegung, ich bin Oliver Springer, zu Gast ist heute Aro Kuhrt, Autor des Buchs „Eine Reise durch die Kantstraße“. Hallo.
Aro Kuhrt: Hallo.
Oliver Springer: Dabei gibts die Kantstraße gar nicht, also DIE Kantstraße, steht so im ersten Satz.
Aro Kuhrt: Ja, das stimmt. Also die Kantstraße ist einfach sehr unterschiedlich, man kann nicht sagen, das ist jetzt so eine Straße, eine reine Wohnstraße, eine reine Geschäftsstraße oder so was. Die Kantstraße ist ja, wird ja oft so genannt, „der kleine Bruder vom Ku’damm“. Und auch da kennt man das ja, gibt es so verschiedene Abschnitte. Und bei der Kantstraße ist es so, der erste Abschnitt vom Breitscheidplatz ausgesehen, da ist ja sehr viel Kultur. Also da hat man das Theater des Westens, das Quasimodo, man hat das Delfi, und man hat ein Stückchen weiter, rund um den Savignyplatz, so Jazzkneipen zum Beispiel.
Der mittlere Teil, sagen wir mal so hinterm Savignyplatz, da kommt sehr viel Gastronomie, viel Asiatisches, auch Französisches und der noch weiter hintere Teil so vielleicht ab Kaiser-Friedrich-Straße, ist dann eher eine bürgerliche Wohngegend. Wenn man dann da hinkommt und sucht dann abends noch was Schickes zum Ausgehen oder so, hat man eher ein Problem oder Livemusik oder so. Das sind sozusagen schon mal drei Kantstraßen an einer.
Und dann gibt’s natürlich „die“ Kantstraße auch nicht im Laufe der Jahrzehnte, also die war ja sehr oft im Wandel vom vorletzten Jahrhundert bis heute. Die Kantstraße selber hat so ungefähr 130 Jahre auf dem Buckel. War praktisch auch in der Geschichte mal so wie heute es wieder viele asiatische Restaurants gibt, war es auch mal so ein kleines China Town, 100 Jahre vorher. Also die Kantstraße ist wirklich sehr vielfältig und war es auch immer.
Oliver Springer: Mit Straßen kennst du dich wirklich aus, du bist lange Zeit Taxi gefahren.
Aro Kuhrt: Ja, ich war mehr als 20 Jahre Taxifahrer und sehr viel natürlich in der City West. Und die Kantstraße ist da einfach … ja, es war einfach ein ganz zentraler Ort, also gerade wegen dem, was ich schon angesprochen habe, gerade für Gastronomie und Kultur, da hat man natürlich viele Fahrgäste, ich bin immer nachts gefahren, abends und nachts. Und das sind eben auch die Orte, wo man dann Fahrgäste abholt oder hinbringt, eigentlich mehr Kantstraße als Ku’damm. Ku’damm sind ja dann eher so die teuren Geschäfte und eher tagsüber interessant für Taxifahrer, die Kantstraße ist eigentlich nachts für Taxifahrer zu viel besser.
Oliver Springer: Wo die Fahrgäste hinwollen, ist ja die eine Sache, wo du dich am Beginn einer Schicht hingestellt hast, um deine Arbeit zu beginnen, das ist ja dann noch eine andere Sache. Du hast deinen Arbeitstag oft absichtlich in Charlottenburg begonnen. Warum das?
Aro Kuhrt: Ja, das ist es aus rein praktischen Gründen, also ich habe halt in Moabit gewohnt und damals war der Bahnhof Zoo, als ich angefangen habe, also das war in den 90er Jahren, Ende der 90er, war der Bahnhof Zoo noch der Berliner Hauptbahnhof. Wenn es da zu voll war, bin ich dann ein Stückchen weiter gefahren zum Savignyplatz und hab mich dann dahingestellt, weil da auch meistens so 17/18 Uhr habe ich angefangen, das ist dann eben auf die Zeit der Restaurants und wo das mit den Kneipen losgeht und so. Von da aus ging es aber dann halt auch mal in die ganze Berliner Welt, ob nach Spandau oder Lichtenrade oder Pankow; also es ist nicht so, dass ich wie andere Taxifahrer total an Charlottenburg gehangen habe, immer. Aber ich bin im Prinzip in jeder Schicht dann doch wieder in Charlottenburg gelandet.
Oliver Springer: Und so vielseitig wie die Kantstraße war dann sich auch die Mischung der Fahrgäste, die dort dann ein und ausgestiegen sind.
Aro Kuhrt: Ja, ja, ja, das ist auch wieder das Interessante an der Kantstraße: Also man hat die Leute, die sich eigentlich einen eigenen Fahrer leisten könnten, die man dann halt zu irgendwelchen Edelrestaurants gebracht hat oder vom Theater abgeholt hat. Und zehn Meter weiter liegen die Obdachlosen, zum Beispiel. Gut, die hatte ich eher weniger im Taxi, allerdings auch ein paar Mal, die mussten dann nicht bezahlen, aber das waren dann meistens Notfälle.
Also ich erinnere mich zum Beispiel an eine Dame aus der Kantstraße, da wollte ich Feierabend machen, morgens um zwei oder drei, und die angekommen ist und ganz schüchtern gefragt hat: „Was kostet denn eine Fahrt zum Rathaus Schöneberg?“ Das habe ich ihr dann gesagt, es war ihr zu viel, und dann ist sie doch eingestiegen und auf der Fahrt dorthin hat sie gesagt, dass sie halt dort sauber macht und sie hat verschlafen und sie wird ihren Job los, wenn sie heute zu spät kommt und dann haben sie umsonst gefahren. Und solche Sachen kommen halt auch vor. Und man hat wirklich in der Kantstraße, vor allen Dingen so rund um Savignyplatz, alles, was es so in Berlin gibt, also ob Studenten, ob Uralt-Linke oder auch Uralt-Rechte, leider, reiche Leute, Beamte, alles Mögliche, ne. Also im Taxi trifft sich im Prinzip im Durchschnitt der Gesellschaft und das ist besonders, muss ich schon sagen, in der Kantstraße auch so, also in dem Teil Charlottenburgs.
Oliver Springer: Wenn man Taxi fährt, dann muss man Menschen schon irgendwie mögen, nehme ich an, und sich auch gerne unterhalten.
Aro Kuhrt: Ja das … ich bin so ein Mensch, der gerne, am liebsten gleich, wenn jemand einsteigt, ich frag den „Erzählen sie mir mal Ihre Geschichte?“. Also, in der Regel läuft das so: Fahrgast kommt rein, sagt, wo er hin will. Und meistens, wenn nicht gerade ein ganz schlechter Draht ist von Anfang an, kommt dann meistens irgendein Spruch von mir. Sei es zu der Straße oder zu dem Außen oder sonst … Kennt man ja irgendwie, ja, blödes Wetter heute oder so. Man merkt sofort, ob ein Fahrgast reden will oder nicht, und wenn er reden – will und das finde ich halt dann immer besonders spannend – dann frage ich auch. Außer ich habe Fahrgäste, die mich ausfragen, das ist auch schon oft vorgekommen. Aber ich bin immer neugierig, will wissen, was für eine Geschichte steht hinter den Menschen so die ich da fahre, und da sind natürlich so im Laufe der Jahre massig zusammengekommen. Viele traurige, viele interessante, teilweise sehr lustige Gespräche, auch intellektuelle Gespräche mit Leuten, die es echt draufhaben.
Also, ich erinnere mich zum Beispiel, der lebt heute nicht mehr, wie hieß er denn … Der, der war Generalsekretär der CDU … Heiner Geißler! Und mit dem, der als sehr rechter Knochen bekannt war, und der mich fast davon überzeugt hätte, dass meine Ideen – ich bin eher in der linken Ecke verortet – totaler Müll sind, aber er hat mich dann doch nicht letztendlich überzeugt. Aber wir standen zum Beispiel noch eine Viertelstunde da und haben einfach noch zu Ende gesprochen, obwohl wir längst am Zielort waren, einfach weil das Gespräch noch nicht zu Ende war und solche Gespräche, also solche oder ähnliche, die hat man nur, wenn man offen ist den Fahrgästen gegenüber.
Oliver Springer: Für dein Buch „Eine Reise durch die Kantstraße“ hast du mit vielen Menschen gesprochen. Ich nehme an, manche davon hast du vielleicht auch ein Taxi kennengelernt?
Aro Kuhrt: Speziell für das Buch weniger, aber ich habe Leute im Umfeld, der Kantstraße wegen dem Taxi kennengelernt. Also, ich habe ja gesagt, ich stand oft am Savignyplatz. Und gerade in Sommermonaten steht man auch draußen und dann kriegt man halt auch die Leute mit, die nicht ins Taxi steigen. Und ja, interessierter Blick von mir, kommt oft ein interessierter Blick zurück, und man redet dann trotzdem, auch wenn man jetzt nicht zusammen fährt… bin ich halt auch schon an einige Leute gekommen, die dann letztendlich das Buch bereichert haben.
Also konkret fällt mir zum Beispiel jemand ein, der war Zuhälter, schon lange her, in den 60er und 70er Jahren am Stuttgarter Platz, nannte sich der „König vom Stuttgarter Platz“. Und den habe ich zum Beispiel auf die Art auch kennengelernt, über jemanden anders und dann mit denen dann halt auch vorgestellt in dem Buch. Also, wer die Geschichte ein bisschen kennt, Stuttgarter Platz war ja mal die Reeperbahn von West-Berlin, sozusagen, mit vielen Nachtclubs, Bordellen und so weiter und ihm gehörten halt auch einige davon.
Oliver Springer: Das sind natürlich Menschen, die Geschichten erzählen können.
Aro Kuhrt: Ja, auf jeden Fall, ja. Er hat dann noch sogar ein Buch gemacht, noch über seine Geschichte, er war dann auch schon über 70. Ich weiß nicht, ob er heute noch lebt. Auf jeden Fall, wenn er noch da lebt, wo er lebt, dann nicht in Charlottenburg, musste sich halt auch lange verstecken vor der Polizei und … Ja, der hat auch ein sehr interessantes Leben gehabt, nicht unbedingt eins, was man auch haben möchte, aber interessant auf jeden Fall.
Oliver Springer: Kurz erwähnen sollten wir auch noch den Bücherbogen …
Aro Kuhrt: Der Bücherbogen am Savignyplatz. Also, das ein natürlich ein Platzhirsch, der ist da seit vielen Jahren. Wie der Name schon sagt, ist er unter den Bögen in der S-Bahn, direkt am Bahnhof Savignyplatz. Wird betrieben von einer Mutter und ihrer Tochter. Allein diese Bögen haben schon ihre eigene Geschichte. Früher waren da Werkstätten und Autowerkstätten in den 50er Jahren, in den 60er Jahren. Und der Bücherbogen hat sich dann entwickelt zu einer Buchhandlung, die so Schwerpunkt Kunst, Kultur und Berlingeschichte hat oder Berlin überhaupt. Problem ist, wenn man in diese Buchhandlung reingeht, man kommt immer ärmer raus, egal, selbst wenn man nur gucken will. Ich bin noch nie rausgegangen, obwohl ich nichts kaufen wollte, trotzdem. Also, dieses Angebot ist einfach Wahnsinn in diesen Bereichen, es sind halt auch genau die Bereiche, die mich interessieren. Da kann ich vielleicht auch vielleicht zu sagen, das ist auch der einzige Buchladen, wo es noch das Buch „Eine Reise durch die Kantstraße“ gibt. Das ist ansonsten vergriffen, und ich habe die letzten paar 100 Exemplare dann dort vorbeigebracht.
Oliver Springer: Aber vieles von dem, was im Buch ist, also jedenfalls so einiges, ist auch auf der Website zum Buch.
Aro Kuhrt: Ja. Na ja, die, ich habe parallel zu dem Buch, damit man es bestellen kann, ich hab es ja nicht mit einem Verlag gemacht, sondern ich mach die Bücher, die ich mache, immer in Eigenregie und vertreib die auch selber … Und da habe ich eben die Webseite „kantstrasse.de“ eingerichtet, die hauptsächlich sich um das Buch dreht, ja.
Oliver Springer: Und da ist ’ne Menge zu sehen, also gibt’s ’ne Menge, was man sich angucken kann.
Aro Kuhrt: Na, da sind einige der Artikel, genau, die sind da auch drin mit Fotos, eigentlich um die Leute ein bisschen für das Buch anzufixen. Nachdem das Buch dann vergriffen ist, habe ich noch ein paar Artikel reingestellt – und ist eigentlich so ein schöner Überblick auch, heute über die Kantstraße. Also nicht heute, sondern das Buch ist ja vor acht Jahren erschienen, 2015 schon, ist aber, da es also um vieles auch über die Geschichte geht, ist das natürlich da noch aktuell.
Oliver Springer: Vielleicht noch so ein oder zwei Orte, die du erwähnen willst in der Kantstraße …
Aro Kuhrt: Also Orte, die mir selber was bedeuten, habe ich natürlich zum einen, also Savignyplatz habe ich jetzt schon oft genug erwähnt, wo ich auch gerne dann mal, wie gesagt, ich bin immer nachts Taxi gefahren … Und wenn man morgens um zwei dann doch mal was essen will oder so, bin ich immer gerne ins Schwarze Café. Das hat ja außer montags rund um die Uhr immer offen. Ich mache jetzt hier übrigens keine bezahlte Werbung, sondern da trifft sich nachts einfach auch alles, also wirklich alles, und da hat man eben auch diese Mischung, über die ich am Anfang gesprochen hab, die trifft man auch nachts im Schwarzen Café am Savignyplatz.
Und dann gibt’s natürlich noch Orte, die ich auch in dem Buch vorgestellt habe, die Leuten, die das Buch nicht gelesen haben, oft unbekannt ist. Also, da ist zum Beispiel die ehemalige Synagoge Kantstraße, ich glaube 125, kleines Hinterhof-Gebäude, zwei Stockwerke. Ist um die vorletzte Jahrhundertwende von ’nem kleinen jüdischen Verein gekauft worden. Und ist dann natürlich in der Nazizeit auch zerstört worden, das Gebäude existiert aber noch. Da sind heute, ich glaube, Künstler-Werkstätten drin. Man kommt auch nicht einfach so rein, sondern man muss dann schon bei irgendjemandem klingeln, dass man dann auf den Hof darf.
Andere Orte, die ein bisschen verborgen sind. Ja, da fällt mir zum Beispiel natürlich die beiden U-Bahn-Stücke ein, die keiner kennt und die nicht zu sehen sind. Also es war ja mal nach dem Krieg geplant, die U-Bahn-Linie 3 zu verlängern, die an einer, also ich weiß gar nicht, ob dort immer die ‚3‘ ist, die Uhlandstraße aufhört, nur eine ganz kurze Strecke, nur .Und die sollte den über Adenauerplatz und dann zur Kantstraße und dann einen Bogen machen bis zum Theodor-Heuss-Platz. Beim Bau der Autobahn, des Stadtrings, wurde schon unter der Autobahn, die unter der neuen Kantstraße verläuft, noch ein Stück Tunnel schon gebaut, damit man, wenn nachher die U-Bahn gebaut wird, nicht alles wieder aufreißen muss und die Autobahnen sperren muss, monatelang. Genauso gibt es auch so ein Stück Tunnel noch in der Wilmersdorfer Straße. Die Neue Kantstraße … in der Wilmersdorfer unter der U7 ist das. Als sie den Bahnhof damals gebaut haben, haben sie das vorsichtshalber auch schon mal mit gebaut. Beides ist nicht in Benutzung heute und ob da jemals eine U-Bahn gebaut wird, ich glaube nicht.
Oliver Springer: Wer weiß, aber wahrscheinlicher jedenfalls, als dass der Südwest-Kanal noch irgendwie realisiert wird, ist das schon mit der U-Bahn.
Aro Kuhrt: Ahhh, den Südwest-Kanal, ja. Na, das ist auch so eine Geschichte. Man kennt ja heute den Teltowkanal. Und der Teltowkanal sollte eigentlich gar nicht gebaut werden, sondern, wir gehen mal jetzt 150 Jahre zurück, 70er Jahre, 80er Jahre des 19. Jahrhunderts, also da, Charlottenburg war ’ne eigene Stadt, und Kantstraße waren im Prinzip nur irgendwelche Bauernhöfe. Aber Berlin, das heutige Mitte, an der Spree und Landwehrkanal, das gab es schon, und da, wo heute die Schleuse ist, Tiergarten-Schleuse, da wurden die Schiffe, dann ging dann weiter die Spree runter bis zur Havel und dann links, und es hat nicht funktioniert, der Handel und die Bauten wurden immer mehr. Man hatte immer mehr Schiffsverkehr und in Spandau kamen die nicht um die Ecke rum, in die Havel rein.
Und deswegen sollte ein extra neuer Kanal gebaut werden. Und der sollte durch Charlottenburg und Wilmersdorf gebaut werden, also an der Schleuse Tiergarten würd’ dann so abbiegen neben der heutigen Fasanenstraße zum Savignyplatz. Savignyplatz sollte ein großes Hafenbecken weden. Das war alles damals nicht bebaut, war alles in der Planung, dass da was gebaut werden wird, die Straßen waren schon projektiert, mehr aber nicht.
Dann sollte da eben wirklich so ein Wendebecken, Wendebasseng, gebaut werden und über die heutige Knesebeckstraße dann Richtung Wilmersdorf und dann irgendwie rüber zum im Grunewald und dann würde der Kanal über diese ganzen Seenkette verlaufen bis zum Wannsee. Stattdessen, weil eben das damals alles so ein aufstrebendes Gebiet war und auch natürlich die Grundstücke immer teurer wurden, haben sich dann entschlossen einen Kanal ganz außen rum zu bauen.
Das ist der heutige Teltowkanal, der ja dann am Griebnitzsee anfängt und in der Spree, bei Treptow, dann eben auch endet, also über Neukölln noch – und also einen riesigen Bogen Die Schiffe sind dann praktisch nicht mehr durch Berlin und dann eben zur Havel gefahren, sondern diesen großen Bogen über den Teltowkanal. Und damit ist Charlottenburg ein Wasserweg erspart geblieben. Heute wäre es vielleicht ganz schön, wenn man dann die Cafés wo heut’ Savignyplatz ist, dann an einem Hafenbecken hätte oder so. Ich glaube, so in den 100 Jahren dazwischen war man ganz froh, dass da nicht jetzt noch ein Kanal dazwischen gebaut wurde.
Oliver Springer: Aber eher so schlimm wäre dann wirklich, wenn dieses Autobahnprojekt durch die westliche Innenstadt realisiert worden wäre.
Aro Kuhrt: Ja, ja, das war auch noch so, das war dann 100 Jahre später, oder ein bisschen weniger, fing an in den 50er Jahren, als es ja eigentlich noch gar nicht so viele Autos gab, aber da war halt dieses Denken autogerechte Stadt und so. Und schon 1946 gab es die ersten Pläne: Ganz Berlin sollte im Prinzip nur mit Autobahn durchzogen werden, und vieles ist ja auch gebaut worden. Und dann sollte unter anderem dann eine Autobahn durch die Lietzenburger Straße gebaut werden, bis zur Bismarckstraße und dann mit Abzweigung zum Beispiel eben zum Savignyplatz auch. Savignyplatz sollten dann eben die Ausfahrten hin, ein Stückchen weiter westlich sollte noch ein Autobahnkreuz hin. Und die ganze Gegend wäre völlig zerstört worden, muss man sagen. Und das ist ja eine Gegend, die den Krieg noch relativ gut überstanden hat, also wo viele Häuser wieder rekonstruiert werden konnten. D as sollte alles abgerissen werden, also zwischen Lietzenburger- und Bismarckstraße. Nach dem ersten Plan sollte überhaupt nichts mehr stehen von den Altbauten. Das sollte dann lockere Bebauung werden … Und sozusagen das Auto im Mittelpunkt des Lebens der Bewohner. Also schreckliche Vorstellung …
Oliver Springer: Dann wäre Charlottenburg doch was ganz anderes heute.
Aro Kuhrt: Man kann sich das ja angucken, wenn man zur Neuen Kantstraße geht, und wenn man auf die Autobahn da guckt, da sieht man Häuser entlang des Stadtrings, wo die Balkons praktisch direkt an der Autobahn, wenn man runterfällt, fällt es auf dem Auto rauf, da möchte niemand wohnen. So sollte dann eben im Prinzip ganz Charlottenburg aussehen und die Kantstraße wäre dann halt auch noch irgendwo da unten drunter dann – keine schöne Vorstellung!
Oliver Springer: In deinem Buch geht es um die Kantstraße, aber ich sag mal, du hast auch den ganzen Rest von Charlottenburg gesehen.
Aro Kuhrt: Ja! Also als Taxifahrer war kommt man halt viel rum, als stadtgeschichtlich interessierter Taxifahrer erst recht. Und da freut man sich dann immer ganz toll wie ein kleines Kind, wenn man endlich mal in eine Straße oder eine Gegend kommt, wo man noch nie war. Man sieht halt auch viele Orte, wo man normalerweise nicht so hinkommt und da gibt’s eben auch in Charlottenburg einige.
Zum Beispiel, das hat jetzt weniger mit der Kantstraße zu tun, zum Beispiel einen kleinen Fußgängertunnel, sehr verborgen unter der S-Bahn durchführt, an der Schleuse Charlottenburg hinter dem Schlosspark Charlottenburg, wo man dann rauskommt am Fürstenbrunner Weg. Also man kommt entweder total zufällig hin, da kann man nicht mal mit dem Auto hin, sondern nur zum Fuß oder Fahrrad.
Oder dann gibt es zum Beispiel Eichkamp, wenn [?] Eichkampstraße vom Messegelände kommt. Und dann muss man einmal so links rein, allerdings kann man nicht links rein, sondern muss einen Bogen fahren und dann unter der Straße durch, und dann kommt man in ein ganz kleines Viertel. Das gehörte mal irgendwie zum Güterbahnhof Grunewald, da leben dort Menschen in drei oder vier Häusern, ist praktisch von Autobahnen und Eisenbahnen völlig eingeschlossen. Es ist ’ne ganz merkwürdige, ganz merkwürdige Atmosphäre da auch, also völlig unwirklich. So ’ne Orte gibt halt auch ab und an dann noch, ne. Aber natürlich wird sowas immer weniger, also dieser Ort zum Beispiel ist jetzt schon durchgeplant, das soll alles bebaut werden richtig. Und der ehemalige Güterbahnhof ist jetzt und halt schon angefangen wurden zu bebauen, da wird dann eben auch viel an solchen Orten, die halt auch eine alte Geschichte haben, also gerade dort … Das sieht man auch, wenn man dort ist. Das wird dann halt auch alles dann weg sein und nicht mehr zu sehen, ja.
Oder auch Frauengefängnis zum Beispiel in der Kantstraße. In den letzten Jahren ist es ja ein bisschen bekannter geworden, aber das wissen die meisten Leute heute trotzdem nicht, dass es in der Kantstraße, heute am Amtsgerichtsplatz, aber nicht auf der Seite des Amtsgerichts, sondern auf der anderen Seite der Kantstraße – und dann ziemlich unscheinbare Fassade – ein Gefängnisgebäude gibt, auch noch vollständig erhalten … Ende des 19. Jahrhunderts … Ist dann von den Nazis als Frauengefängnis benutzt worden, natürlich sehr schreckliche Geschichten, also auch von Folter und so.
Oliver Springer: Bei Charlottenburg in Bewegung ist natürlich Charlottenburg das Wesentliche, aber lass uns noch kurz erwähnen, dass du dich auch über die Kantstraße hinaus so mit weiteren Straßen und auch Teilen der Stadt beschäftigt hast.
Aro Kuhrt: Ja, ich bin selber, wie gesagt, ich komme nicht aus Charlottenburg, bin Ur-Kreuzberger. Nach Öffnung der Mauer war ich dann halt auch sehr viel eben in anderen östlichen Bezirken und hab dann eben auch angefangen, dort geschichtliche Sachen zu recherchieren, also speziell in Mitte und Prenzlauer Berg und es gibt verschiedene Gegenden, die mich eben interessieren. Seit 20 Jahren lebe ich in Moabit, habe zum Beispiel jetzt dort 2021 ein Buch über Moabit gemacht, über einen ganzen Stadtteil, „Moabit Buch“. Jetzt bin ich gerade dran, ein Buch vorzubereiten von Wedding, also auch die Geschichte, auch die verschiedenen Facetten des Bezirks. Aber da warte ich dann mit dem Interview, wenn jemand kommt von „Wedding in Bewegung“ …
Oliver Springer: Ja, wer weiß, wer weiß, was noch alles passiert. Gucken könnte man da auf der, auf deiner sozusagen Hauptwebsite aber auch mal so, was du noch so machst.
Aro Kuhrt: Ja, also ich betreibe seit 1998, glaube ich oder ’97, die Webseite berlinstreet.de. Da ist halt alles drauf. Da werden Orte vorgestellt, da werden viele geschichtliche Dinge vorgestellt, da habe ich allein 300 Artikel drauf vom Taxiblog, den habe ich da integriert, die Taxi-Geschichten, die ich selber erlebt habe. Da sind, ich weiß gar nicht wie, ich glaube 2.000 oder sowas, Artikel im Moment drauf. Da kommt natürlich auch so eine Sachen wie Kantstraße oder auch Moabit oder sowas, haben ja auch einen wichtigen Platz.
Da gebe ich allerdings auch manchmal meinen Senf ab zu sehr aktuellen Themen, in letzter Zeit weniger, weil ich einfach zeitlich wenig Ressourcen habe. Also mindestens zwei Artikel kommen da pro Woche rein. Ich habe dort auch mehrere Bücher komplett dokumentiert, nicht nur von mir, sondern zum Beispiel von Diether Huhn. Er hat vier Bücher gemacht „Spaziergänge in Berlin“ und damit hat er angefangen 1990. Und als wir uns dann treffen wollten, ist er dann zwei Tage vorher leider gestorben, und der Verlag und seine Witwe haben mir erlaubt, diese ganzen Bücher, das sind insgesamt, glaube, 250 Texte, zu dokumentieren. Zum Beispiel jetzt kommt jeden Samstag ein neuer Text auch rauf. Und der ist eben auch wie ich so ein bisschen, jaaa, ein Berlin-Verrückter … Geschichte … wobei er viel mehr ins Detail halt auch geht und vielmehr auch immer noch gräbt so in der Geschichte. Was ich nur für manche Texte in Büchern machen kann, hat er praktisch für 250 Artikel, die er geschrieben hat, gemacht – ist einfach super interessant, um diese Stadt kennenzulernen. Also wirklich von letzter Ecke Spandau bis ins hinterste Hellersdorf. Und das lohnt sich auf jeden Fall, also das ist ein Beispiel, sich anzuschauen.
Oliver Springer: Deine Website verlinken wir natürlich auch bei uns …
Aro Kuhrt: Ja, ich kann ja vielleicht noch mal Werbung machen: Wer sich für Berlin-Geschichte interessiert: Ich habe zum Beispiel das Projekt laufen berlinchronik.de, wo für jeden Tag immer praktisch Informationen, was an diesem Tag in den vielen, vielen Jahren vorher passiert ist … Ist seit einem Dreivierteljahr noch in der Betaphase, aber es sind schon sämtliche Tage abgedeckt, aber da kommt noch ganz, ganz, ganz viel rein, was auch schon bei mir hier auf irgendwelchen Stapeln hin liegt und, ja, leider braucht man immer viel Zeit. Und ich gehe ja auch immer noch arbeiten.
Oliver Springer: Ja das geht nicht, okay, na dann, wer weiß, vielleicht sprechen wir auch über eins der der nächsten Projekte dann irgendwann. Auf jeden Fall vielen Dank!
Aro Kuhrt: Bis dann.