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Charlottenburger Geschichte mit der Berliner Geschichtswerkstatt e.V.

Berliner Geschichtswerkstatt e.V. | Foto: Redaktion

In der aktuellen Ausgabe von “Charlottenburg in Bewegung” spricht Oliver Springer mit Jürgen Karwelat aus dem Vorstand der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. Der Verein wurde 1981 von Studenten gegründet, die mit der traditionellen Geschichtsvermittlung unzufrieden waren und die Bedeutung der Alltags- und Kiezgeschichte betonen wollten.

Der Verein hat zwar seinen Sitz in Schöneberg, bietet jedoch Schiffstouren an, die in Charlottenburg an der Dampferanlegestelle Caprivibrücke ihren Ausgangspunkt haben. Diese Schiffstouren bilden den thematischen Schwerpunkt dieser Podcast-Folge.

Jürgen Karwelat aus dem Vorstand der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. | Foto: Redaktion

Nach dem Start an der Caprivibrücke führen die Schiffstouren über die Spree und den Landwehrkanal. Auf dem Weg liegen unter anderem der Siemenssteg, das Kraftwerk Charlottenburg, das Iburger Ufer und der Spreebogen.

Kraftwerk Charlottenburg und Siemenssteg | Foto: Helge Schliephake (@charlottograph auf Instagram)

Die Schiffstouren werden in zwei Varianten angeboten: längere Touren am Nachmittag und Abend über Spree und Landwehrkanal sowie kürzere Touren am Sonntagvormittag bis zum Nikolaiviertel und zurück über den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal. Angeboten werden auch Fahrten mit speziellen Schwerpunkten wie “Literatur”, “Mauerstadt Berlin”, “Einwanderungsstadt Berlin” und eine Musikfahrt.

Siemenssteg und im Hintergrund Kraftwerk Charlottenburg | Foto: Helge Schliephake (@charlottograph auf Instagram)

Die Berliner Geschichtswerkstatt engagiert sich nicht nur mit Schiffsfahrten, sondern auch mit anderen Aktivitäten wie Stadtrundgängen, Buchvorstellungen, Diskussionen über Straßennamen, Gedenktafeln und Veranstaltungsreihen.

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Kontakt

Berliner Geschichtswerkstatt
Goltzstr. 49
D-10781 Berlin
(U 7: Eisenacher Str.)
Tel.: 030 – 215 44 50
Fax:  030 – 215 44 12
e-mail: info@berliner-geschichtswerkstatt.de

Website

Öffnungszeiten:

Montag – Freitag 15 – 18 Uhr

Transkript zur Episode

Oliver Springer: Charlottenburg in Bewegung. Ich bin Oliver Springer, zu Gast ist heute Jürgen Karwelat vom Verein Berliner Geschichtswerkstatt. Die Berliner Geschichtswerkstatt e.V., die hat ihren Sitz zwar in Schöneberg, aber der Verein bietet Schiffsrundfahrten an, die in Charlottenburg starten und bei denen man auch eine Menge über Charlottenburger Geschichte erfährt. Darüber spreche ich mit Jürgen Karwelat. Hallo.

Jürgen Karwelat: Ja, guten Tag.

Oliver Springer: Du bist im Vorstand der Berliner Geschichtswerkstatt und mittlerweile mehr als vier Jahrzehnte, habe ich gelesen, im Verein aktiv. Wie ist der Verein denn damals entstanden?

Jürgen Karwelat: 1981 ist er entstanden und eigentlich waren es Studentinnen und Studenten, die mit der damaligen Vermittlung von Geschichte unzufrieden waren, die Geschichte der Herrschenden und der Großen und der Schlachten. Und die haben sich gesagt So ist die Geschichte nicht gewesen, wir müssen auch Alltagsgeschichte vermitteln, wir müssen die Geschichte der kleinen Leute vermitteln, und wir müssen auch Stadtteilgeschichte vermitteln.

Und dann haben wir einfach einen Verein gegründet, diese, im Wesentlichen waren es Studentinnen und Studenten, aber es waren noch ein paar andere dabei

Oliver Springer: Und über die vielen Jahre hat sich eine ganze Menge angesammelt und getan, wahrscheinlich. Bevor wir uns auf Charlottenburg und die Schiffsrundfahrten jetzt fokussieren, interessiert mich dann doch ein Überblick, was die Geschichtswerkstatt so alles macht.

Jürgen Karwelat: Na ja, was machen wir? Wir versuchen Berliner Geschichte zu vermitteln auf vielfältige Art und Weise. Wir machen Rundgänge, ich mache zum Beispiel auch einen Rundgang durch Halensee, das ist knapp Charlottenburg – NICHT – Rundgänge in Lichtenrade, in Schöneberg, wo wir ja hier unseren Sitz haben, und auch in Mitte.

Also, das sind Rundgänge zu Fuß. Wir machen Schiffsrundfahrten, wir stellen Bücher vor, von Leuten die an uns herangetreten, dass sie interessante Sachen über Berlin geschrieben haben. Wir diskutieren mit, wenn es um Gedenktafeln geht, regen Gedenktafeln an, regen Stolpersteine an.

Und wir diskutieren auch seit vielen Jahren, immer wieder beliebt in Berlin, über Straßennamen zu diskutieren, das ist auch eine wichtige Funktion von uns. Und ab und zu machen wir Veranstaltungsreihen. In diesem Jahr zu Ende gebracht haben wir eine Veranstaltungsreihe, wo wir uns selber ein bisschen mehr beleuchtet haben.

Die hieß “40 Jahre Berliner Geschichtswerkstatt” mit unterschiedlichen Aspekten. Aber wir haben in diesem Jahr zum Beispiel auch eine kleine Veranstaltungsreihe gehabt zu “Revolution 1848”, das ist jetzt 175 Jahre her. Da haben wir eine Schiffsfahrt gemacht, da haben wir verschiedene … ein Konzert gemacht, Rundgänge. Und auch eine Veranstaltung “Frauen in der Revolution 1848”.

Ja, und zu erwähnen eigentlich auch: Manchmal machen wir etwas weg von den ausgetretenen Pfaden, wir machen ab und zu auch Radiosendungen. Die letzte, die wir gemacht haben, zusammen mit dem Verein Rockradio.de war “100 Jahre Radio in Berlin”, denn am 29. Oktober, genau vor 100 Jahren, gab es die erste Radiosendung vom Potsdamer Platz und das haben wir zum Anlass genommen, dann auch so eine Radiosendung mit Musik und Originalton-Beispielen zu machen. Also, ein breiter Versuch der Vermittlung zu Berliner Geschichte in den unterschiedlichsten Aspekten.

Oliver Springer: Wir greifen heute einen Punkt raus: Start- und Endpunkt der Schiffsrundfahrten ist die Dampferanlegestelle Caprivibrücke. Die Caprivibrücke von heute, so fertiggestellt Mitte der 50er Jahre, die würde ich jetzt, also ich jedenfalls nicht als Sehenswürdigkeit bezeichnen. Die Brücke, die da vorher an der Stelle über die Spree führte, finde ich, die hatte schon ihren Charme. Und ich muss zugeben, ich habe auch bei der Vorbereitung erst auf unser Gespräch, mich mal informiert, wonach die oder nach wem die Caprivibrücke. eigentlich benannt wurde.

Jürgen Karwelat: Ja, ich stimme dir voll zu. Die heutige Brücke ist so eine Zweckbrücke. Ja, leider auch dadurch entstanden, dass bei den Endkämpfen um Berlin 1945 nahezu alle Brücken zerstört wurden, zum Teil sogar von deutschen Truppen selbst.

Wie das bei dieser Brücke war, weiß ich nicht. Und dann sind in den 50er Jahren reine Zweckbauten gekommen und auch mir ging es genau wie dir. Ja, hier muss ich, ich musste noch mal nachschauen: Wer ist eigentlich Caprivi?

Aber das ist eben der Pfiff einer solchen Fahrt: Man kommt an Stellen vorbei, man trifft auf Namen, die heute ganz vergessen sind. Und dieser Caprivi, das ist ein Reichskanzler gewesen, um 1890 herum und auch preußischer Ministerpräsident, also hatte eine sehr wichtige politische Funktion im damaligen Kaiserreich. Und ja, dementsprechend ist dann auch noch im Kaiserreich die Brücke nach ihm benannt worden, und so heißt sie auch noch heute.

Oliver Springer: Startpunkt ist also Caprivibrücke, man fährt natürlich mit dem Schiff durch so einige oder unter eisigen Brücken durch. Die erste Brücke, unter der das Schiff dann durchfährt, ist der Siemenssteg. Das ist zwar keine besonders bekannte Brücke, aber ich finde: Es ein erstklassiges Fotomotiv, und wenn ich mich richtig erinnere, hat diese Brücke dann gerade Glück gehabt. Die war militärisch einfach zu unbedeutend, und deshalb wurde sie nicht gesprengt.

Jürgen Karwelat: Ja, es ist eine Fußgängerbrücke, die aber eine wichtige Funktion hat. Und damit sind wir auch gleich wieder in der Geschichte Charlottenburgs: Um 1900 ist die Brücke gebaut worden, als auch das erste Kraftwerk von Charlottenburg, das ja direkt daneben liegt, gebaut wurde. Und diese Brücke diente den Kabeln und den Rohren, die vom Kraftwerk aus in den bewohnten, also in den Wohnteil von Charlottenburg geführt wurde. Und da gab es also zum einen Elektrokabel und zum zweiten auch Rohre für die Heizung, womit dann auch das Rathaus Charlottenburg schon damals geheizt wurde, was eine sehr fortschrittliche Geschichte war, um 1900.

Oliver Springer: Die Fußgänger sind dann sozusagen die Nutznießer, für die Fußgänger wurde es ja nicht wirklich gebaut, eigentlich.

Jürgen Karwelat: Ja, auch, aber sind wahrscheinlich weniger rübergelaufen, weil: Ja, was wollte man auf der anderen Seite? Da war ja das Kraftwerk, das war noch nicht mal ein schöner Park, wo man rumlaufen konnte. Was interessant ist:, An den Brückenpfeilern sind symbolisiert Blitze. Und wenn man das genau anschaut, dann überlegt man: Warum sind die Blitze da? Und die Blitze sind natürlich deswegen dort, weil es um Elektrizität ging, die da über die Spree transportiert wurde.

Oliver Springer: Und die ist ja eben nicht weit, weil es neben dem Kraftwerk Charlottenburg steht. Das ist dann sozusagen auch die nächste Station.

Jürgen Karwelat: Richtig, ja. Ja und was man dann über Charlottenburg natürlich an dieser Stelle sagen kann, also das ist eine sehr selbstbewusste und reiche Stadt gewesen, bis 1920, bis Charlottenburg eingemeindet wurde, wie viele andere unabhängige Städte und Dörfer auch. Und die haben dann damals praktisch zeitgleich mit der Stadt Berlin ein Kraftwerk gebaut und haben dann auch, nicht weit entfernt von unserer An- und Ablegestelle, ja auch das Rathaus gebaut.

Ich finde, es ist ein ziemlicher Klotz, der allerdings höher ist als das Rote Rathaus. Auch das, ganz bewusst von dem damaligen, ja, bürgerlichen Charlottenburg: Wir wollen doch mal Berlin zeigen, dass wir auch was bauen können. Und dann haben sie den Turm da gebaut und der ist höher als das Rote Rathaus.

Oliver Springer: Der Turm, finde ich jetzt, sage ich mal spontan, wirkt auf mich immer so ein bisschen, mmmhhh, also in der falschen Proportion. Da hat man sich wahrscheinlich gedacht Unser Turm muss besonders groß werden. Ich finde, das wirkt so ein bisschen, also ein bisschen zu groß für den Rest.

Jürgen Karwelat: Ja, kann man so sehen, aber das Rathaus selber, das hat auch schon ziemliche Ausmaße. Und im Übrigen, wer mal in das Rathaus reingeht und sich versucht zu orientieren durch diese verschiedenen Treppen, den warne ich, das ist gar nicht so einfach. Das ist so ein Rundbau, man läuft manchmal im Kreis und kommt nicht da an, wo man ankommen will. Also, ein interessanter Bau, aber ja, manchmal nicht besonders zweckmäßig.

Oliver Springer: Aber imposant, auf jeden Fall.

Jürgen Karwelat: Das war beabsichtigt.

Oliver Springer: Ja. Das Kraftwerk, das steht am nördlichen Spreeufer. Was gibt es auf der anderen Seite am Iburger Ufer zu sehen?

Jürgen Karwelat: Na ja, es ist so, Iburger Ufer hat mir auch bis vor einiger Zeit nichts gesagt, bis wir auf die Idee kamen, von dort, von der Caprivibrücke loszufahren, und dann gucke ich immer links und rechts, na, was gibt es dafür Straßennamen. Und die kleine Straße, völlig unbekannt, heißt Iburger Ufer. Und wenn man dann bohrt, kommt man richtig in die Charlottenburger Geschichte rein, denn es ist nach Bad Iburg benannt.

Da kommt Sophie Charlotte her, nach der auch praktisch das Schloss Charlottenburg und anschließend auch die ganze Stadt Charlottenburg benannt worden ist. Die ist da geboren, in der Nähe von Osnabrück, und hat dann nach Berlin geheiratet. Und was ich auch dann witzig fand und interessant fand: Bad Iburg ist eine Partnerstadt von Charlottenburg. Also, man hat diese damalige Beziehung, Charlotte kam von Niedersachsen aus nach Berlin, jetzt auch vor vielen Jahren aufgegriffen, und hat Bad Iburg als Partnerstadt gewonnen.

Oliver Springer: Das sind so Sachen, die man im Alltag wirklich nicht erfährt.

Jürgen Karwelat: Ja, ich sage auch immer: Straßennamen ist ein interessanter Motor oder ein interessanter Anlass, über Geschichte nachzudenken oder überhaupt angestoßen zu werden, darüber mal nachzudenken.

Oliver Springer: Vom Spreekreuz aus geht’s dann in den Spreebogen über.

Jürgen Karwelat: Ja, wir fahren ja Spree aufwärts in Richtung Mitte, kommen dann an eine Stelle, wo der Landwehrkanal in die Spree führt, das ist dann auf der rechten Seite alles Charlottenburg. Und dann kommen wir in ein Gebiet, das man heute immer noch Charlottenburger Spreebogen nennt, ist der nördliche Teil von Charlottenburg, hin nach zu Moabit. Der ist früher sehr stark industriell geprägt gewesen, da war ein riesiges Werk von Siemens. Jetzt ist auch noch Mercedes da, es sind auch noch andere Automobilunternehmen da und es sind eine Reihe von größeren Büro- und Forschungsgebäuden.

Also, eines dieser Forschungsinstitute ist das sogenannte Doppel-Institut: Fraunhofer Gesellschaft und Technische Universität forschen da zusammen in Richtung automatisierte Produktion, in Richtung Zugangssysteme und alles Mögliche. Und das ist ein sehr interessantes schönes, vom Wasser aus gut zu sehendes, weißes Gebäude mit einer Rundhalle von 50 Metern.

Und mittlerweile sind allerdings die Kastanienbäume, wir haben sie wachsen sehen, seit Mitte der 80er Jahre, auch schon ziemlich groß geworden. Und das ist dann eben auch schon ein schöner, grüner Uferweg, wo vorher alle möglichen kleinteiligen Gewerbe waren und Autos rumstanden und Hügel mit Abfall angefahren wurden, die dann sortiert wurden in den 80er Jahren.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass das ein richtiges in Anführungszeichen, “Kraut und Rüben”-Gelände war, nun aber, ja, ein Büro- und Forschungsort.

Oliver Springer: Hinter dem Spreebogen, da fließt die Spree dann doch noch ein kurzes Stück weiter durch Charlottenburg. War mir vorher auch gar nicht klar, dass es da doch wirklich noch ein bisschen weitergeht. Was gibt’s da noch?

Jürgen Karwelat: Ähh, wenn man jetzt in Flussrichtung geht, also würde man von unserer Anlegestelle aus, Caprivibrücke, am Charlottenburger Schloss vorbeikommen, dann kommt man zur Schleuse, die ja auch Schleuse Charlottenburg heißt, heißt die so, ja, ich meine ja. Und dann gibt es noch fünf Kilometer und dann ist man in Spandau und dann fließt die Spree in die Havel. Also, das ist diese Richtung.

Oliver Springer: Das ist die Richtung, klar.

Jürgen Karwelat: Die andere Richtung, die wir mit unserem Schiff fahren, die ist, also praktisch Spree aufwärts, und nach Charlottenburg kommt man dann nach Moabit und fährt am Hansaviertel vorbei und ist dann bald auch am Tiergarten mit dem Schloss Bellevue und dann ist man am Hauptbahnhof, und dann ist man praktisch in der Mitte von Berlin. Und so fahren wir auch bei beiden Tour-Varianten, die wir anbieten.

Oliver Springer: Da sollten wir drüber sprechen. Es gibt zwei verschiedene Routen, die die Schiffe fahren. Was ist da der Unterschied?

Jürgen Karwelat: Einmal von der Zeit her und einmal von der Route her. Von der Zeit her ist, sind die Nachmittagstouren, die wir machen … Wir machen übrigens in diesem Jahr wieder 18 Touren an sieben Sonntagen, so, macht 14 und dann noch mal vier Abendtouren. Und diese Nachmittags- und Abendtouren, die gehen über Spree und Landwehrkanal, sind dreieinhalb Stunden lang.

Und da fährt man also über Spree, über Berlin-Mitte, man kommt hin in Kreuzberg an, ist dann am Osthafen. Dort beginnt der Landwehrkanal, und dann fährt man praktisch über den Landwehrkanal in Richtung Westen, über Kreuzberg und Schöneberg wieder nach Charlottenburg zurück. Also eine große Runde, dreieinhalb Stunden, das sind häufig Schwerpunktfahrten, “Literatur”, “Mauerstadt Berlin”, “Einwanderungsstadt Berlin”. Eine Musikfahrt bieten wir auch an, also die sind etwas, ja, etwas literarischer und mit Schwerpunktthemen.

Während die zweite Variante sonntags, morgens um 11 Uhr, etwas kürzer ist. Die ist nur zweieinhalb Stunden lang. Da fahren wir bis Berlin-Mitte, über die Spree bis zum Nikolaiviertel. Dort wenden wir, fahren zurück, und biegen dann am Hauptbahnhof in den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal ein und fahren über Nordhafen und Westhafen und dann auch wieder Schloss Charlottenburg in einer großen Runde zurück, sind also da auch noch mal ziemlich lange in Charlottenburg, weil wir an Charlottenburg-Nord vorbeifahren. Das ist zwar etwas langweiliger Westhafenkanal, aber auch da gibt’s …

Oliver Springer: Ich wohne in Charlottenburg-Nord. Es ist langweilig, aber schön.

Jürgen Karwelat: … da gibt’s auch einiges zu berichten. Also, es gibt da so ein Fußgängerüberweg auch, der hat einen sehr interessanten, also architektonisch interessant, weil er so eine spiralförmige, zwei spiralförmige Aufgänge hat, darauf kann man gut hinweisen.

Oliver Springer: Ja, Ringelbrücke, sagen manche Leute.

Jürgen Karwelat: Ringelbrücke, ja.

Oliver Springer: Ist der Goerdelersteg.

Jürgen Karwelat: Das ist der Goerdelersteg und benannt eben auch nach einem Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, wie auch viele Straßen in Charlottenburg-Nord nach Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus benannt sind, die nicht weit davon entfernt, nämlich in, ääähhhmmm …

Oliver Springer: In der Gedenkstätte.

Jürgen Karwelat: In der Gedenkstätte, davor war es nun die Hinrichtungs-, Hinrichtungsstätte Plötzensee, ermordet worden waren.

Oliver Springer: Also insofern, geschichtlich gibt es da schon auch einiges zu entdecken, vom Wasser aus. Zumindest jedenfalls, nicht von dem Teil, das wäre dann ein anderer Kanal wiederum.

Jürgen Karwelat: Das ist der Westhafenkanal. Aber er gehört da, an dieser Stelle ist es immer Charlottenburg. Was wir auch ein bisschen erwähnen oder ab und zu erwähnen ist, ich mache es gerne, sind so Kuriositäten.

Und kurz bevor man dann am Jakob-Kaiser-Platz oder kurz vor der Schleuse ist, erreicht man einen Punkt, wo man nicht sieht, wo ich aber erzählen kann, dass genau unter uns schon ein Tunnel gebaut worden ist, unter der Spree drunter her, für eine geplante U-Bahnstrecke, die nach, zum Flughafen Tegel geplant war, die aber nie gebaut worden ist.

Und nun sind da 300 Meter unter der Spree auch, die ab und zu der Berliner Feuerwehr zu Übungszwecken dient. Aber es ist schon ein Kuriosum, dass man also schon eine so lange Strecke U-Bahn gebaut hat, die da nie in Betrieb genommen wurde.

Oliver Springer: Vorleistungen sind zwar schon üblich, aber dann meist bei den Bahnhöfen oder Gebäuden.

Jürgen Karwelat: Ja. Das auch.

Oliver Springer: Wird ja durchaus öfter mal was gemacht. So ganze Tunnel, glaube ich, eher selten.

Jürgen Karwelat: Naja, aber da sind wirklich 300 Meter, die noch über den Bahnhof hinausgehen, der da geplant war.

Oliver Springer: Die genauen Zeiten und so, die stehen dann natürlich alle auch im Internet. Sprechen wir noch über einen anderen Teil Charlottenburgs, der ebenfalls an der Spree liegt, aber eben in der entgegengesetzten Richtung, wir hatten es ja ganz kurz schon angesprochen. Dann fließt die Spree ja sozusagen irgendwann am Schlosspark vorbei und dort, an der Westseite der Mierendorffinsel, sag ich mal, ist es ja eigentlich eine Gegend, die heute, abgesehen von dem wirklich üblen Autoverkehr, beschaulich ist. Aber früher gab’s da mal die Schlacht am Tegeler Weg.

Jürgen Karwelat: Ja, die gab es mal an einem Tag. Und das ist ein wichtiger Tag in der Nachkriegsgeschichte für Westdeutschland und West-Berlin, sage ich mal, weil es so ein Knackpunkt in der Geschichte der Studentenbewegung war. Das war am, ich muss noch mal nachschauen, damit ich hier nichts Falsches sage, am 4. November 1968, also in der Hochzeit der Studentenrevolte.

Ein paar Monate vorher war Rudi Dutschke angeschossen worden am Kurfürstendamm. Und an dem dortigen Landgericht sollte ein Prozess stattfinden gegen Horst Mahler. Das war der damalige Rechtsanwalt der Studentenbewegung. Ihm sollte praktisch die Lizenz als Rechtsanwalt entzogen werden, die Zulassung, weil ihm angehängt worden war, dass er für die Osterunruhen, wobei bei Springer also auch Autos angezündet worden sind, er als Organisator zur Rechenschaft gezogen werden sollte.

Also es fanden sich dann etwa 1.000 Studentinnen und Studenten aus Solidarität zu ihm vor dem Landgericht ein und wollten ihre Solidarität kundtun. Glücklicherweise ist ihm dann, oder es ist dem jedenfalls nicht die Lizenz entzogen worden.

Aber die Studenten waren trotzdem da und haben protestiert und gerieten mit der Polizei in Konflikt. Dummerweise, oder vielleicht sogar absichtsweise, stand da ein Lastwagen, wo kleine Pflastersteine drauf waren, und die Studenten haben diese Steine genommen, um die Polizisten zu bewerfen. Es entstand eine zweieinhalbstündige Schlacht am Tegeler Weg, die sich dann bis zur Schloßbrücke hinzog. Dann löste sich das Ganze auf, es gab viele verletzte Studenten, es gab viele verletzte Polizisten.

Das ist deswegen so ein Schnittpunkt, weil sich darüber der “SDS” zerstritten hat, dass man Gewalt anwendet oder auch nicht Gewalt anwenden soll. Der “SDS” hat sich daraufhin aufgelöst, und auf der polizeilichen Seite hieß es: Jetzt müssen wir uns aber besser schützen. Und dann sind Schutzwesten angeschafft worden, Helme angeschafft worden. Also, es war also in dieser Hinsicht eine Aufrüstung auf beiden Seiten und eigentlich eine unsägliche Schlacht am Tegeler Weg.

Oliver Springer: Was man bei wirklich dieser ansonsten sehr friedlichen Gegend nicht annimmt.

Jürgen Karwelat: Nein, manchmal passiert an manchen Sachen, ja dieser friedlich aussehen sehr, sehr schlimme Dinge, das hat man ja öfter.

Oliver Springer: Das stimmt auch wieder.

Jürgen Karwelat: Was allerdings interessant ist: Dieses Landgericht, das ist ja auch so ein unglaublicher Klotz aus Anfang des 20. Jahrhunderts, der ein bisschen furchteinflößend ist und auch in so ’nem Bogenstiel gebaut ist, aber wenn man den Haupteingang anschaut, kann man da alle möglichen Sachen erkennen: Eine Justitia, die dann die Augen verbunden hat und in der einen Hand hat ein Gesetzbuch, in der anderen Hand hatte sie so ein paar Fasces, also, das heißt Ruten, mit denen also auch dann die Gerechtigkeit durchgesetzt werden soll. Also, ist an sich dann auch schon ein interessantes Gebäude, aber auch ein bisschen sehr, ja, brutal …

Oliver Springer: Sieht wie eine Festung aus.

Jürgen Karwelat: Sieht wie eine Festung aus, ist immer noch Landgericht, ist auch immer noch zuständig wie auch 1968 für solche Rechtsanwalts-, also solche Fragen wie, Entzug der Zulassung von Rechtsanwälten. Und ansonsten ist es ein Zivilgericht

Oliver Springer: ’Ne Menge Informationen gibt’s und wer mehr müssen [wissen] will, der schaut am besten dann auf die Website der Berliner Geschichtswerkstatt. Die lautet, die Adresse …?

Jürgen Karwelat: Die Adresse lautet www.berliner-geschichtswerkstatt.de. Aber, wenn du mich schon drauf ansprichst: Wir haben glücklicherweise auch ein paar junge Leute bei uns im Verein, die gesagt haben also, wir müssen auch andere Medien noch nutzen. Und seit einiger Zeit haben wir also auch einen Auftritt bei Instagram, der dann gefüttert wird, im Wesentlichen mit Bildern, aber natürlich dann auch mit Informationen über das, was wir vorhaben.

Oliver Springer: Lohnt sich ja auch, wenn man so viel unterwegs ist, draußen und bei den ganzen Sehenswürdigkeiten und geschichtlichen Orten, da kann man ja super Motive finden.

Jürgen Karwelat: Wir sind immer auf der Suche, ich suche auch immer gerne etwas, und ich hab schon gesagt, ich schaue auch mal gerne auf etwas Abwegiges. Und davon gibt es in Berlin ja auch was. Man schaut auf den Boden und sieht die vielen Stolpersteine, die uns eben an diese unsägliche Nazizeit erinnern. In Charlottenburg-Wilmersdorf im Übrigen am meisten von ganz Berlin, weil ja auch die Zahl der Juden in Charlottenburg und Wilmersdorf recht hoch war, in Wilmersdorf sogar noch höher als in Charlottenburg.

Also dementsprechend, so was findet man, aber man findet auch noch immer irgendwas … “Ach guck mal, da ist schon lange was weg, aber die Reste davon sind noch da. Buchstaben von Werbungen, Reste von Pommesbuden, die 40 Jahre lang gestanden haben. Und die Ausmaße kann man immer noch erkennen, weil das Fett offensichtlich an den Wänden auf das Trottoir getropft ist, aber nur wer’s weiß, dann.

Oliver Springer: Wenn man hinguckt. Okay, dann danke fürs Mitmachen.

Jürgen Karwelat: Danke, dass ich dabei sein konnte.

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